Der westliche Landkreis Sorau

Dialekt und Brauchtum in und  um Niewerle 

Der Kreis Sorau war bis 1945 evangelisch geprägt. Obwohl viele Einwohner slawische Wurzeln besaßen, spielte dies im Alltag der Menschen kaum eine Rolle. 

Slawische Stämme siedelten sich nach dem sechsten Jahrhundert in der Niederlausitz an. Sie trafen auf teilweise menschenleeres Gebiet. Nördlich von Sommerfeld richteten sich die Selpoli und rund um Sorau die Zara (westslawischer Stamm) ein, welche heute mit den Milzenern (ebenfalls westslawischer Stamm) als Lusitzi  bekannt sind.

In einer Broschüre, die 1908 von Fr. Panier in der Kunst-und Verlagsanstalt, herausgegeben wurde ("Sommerfeld in der Niederlausitz  mit Gassen und Umgebung") beschreibt der Autor die Lusitzer aus dem Stamme der Wenden, die vor Zeiten um Sommerfeld siedelten, wie folgt:

Es sind Menschen anderer Sprache, von kräftigem, untersetztem Körperbau, von gelblicher Hautfarbe, dunklen Haaren und Augen.....

Im 13./14. Jahrhundert wurden deutsche, sächsische, schlesische und böhmische Adlige mit Gütern östlich der Neiße belehnt, die vorwiegend deutsch sprachen. Zu dieser Zeit entstand das vermutlich älteste Rechtsbuch des Mittelalters, der Sachsenspiegel. Darin schrieb der Verfasser, Eike von Repgow, die Rechtsauffassungen der Herrschenden nieder. Repgow stand im Dienste der Askanier und es verwundert nicht, dass der Inhalt dieses Dokuments vorwiegend deutschfreundlich war. So hieß es zum Beispiel, dass es einem Sorben vor Gericht verwehrt sei, sein Anliegen in seiner Muttersprache vorzutragen, wenn er vorher schon einmal in deutscher Sprache verhandelt hatte.

Johann III. v. Biberstein schaffte 1424 das Wendische in Briefen für immer ab und ließ auf Geburtsbriefen den Hinweis guter deutscher Nation einsetzen. Handwerksinnungen nahmen zeitweise keine Wenden auf. Deutschsein galt hier also als qualifiziert!

Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts sprachen die meisten Einwohner in der östlichen Lausitz wendisch und seit der Reformation wurden auch die Gottesdienste in dieser Sprache abgehalten. Etwa Mitte des 18. Jahrhunderts verlor das Wendische schließlich auch im Alltag an Bedeutung und wurde mehr und mehr durch die deutsche Sprache ersetzt. 

Dialekte unterscheiden sich von der allgemein gültigen Deutschen Rechtschreibung und Grammatik. Und eine Mundart entspricht weitgehend dem Dialekt, nur dass es sich eigentlich um eine lokale beziehungsweise regionale Sprachvarietät handelt. Hier spielen unter anderem Satzbau, Phonologie und der Wortschatz, die Begrifflichkeit, eine wichtige Rolle. Und die war selbst im flächenmäßig relativ kleinen Kreis Sorau von Ort zu Ort unterschiedlich.

Wie bedeutungsvoll und wichtig ein Dialekt für die Identität einer Volksgruppe ist, hat  Goethe einst niedergeschrieben.

Jede Region liebt ihren Dialekt, sei er doch eigentlich das Element, in welchem diese Seele ihren Atem schöpfe.
Je fester der Mensch mit seiner Heimat verbunden ist, desto mehr spricht er seine Mundart, auch wenn er in andere Gegenden verpflanzt wird. Diese Aussage fand ich im Sorauer Heimatblatt (Oktober 1957). Dass dem nicht so ist, zeigt die Aussprache der Vertriebenen nach Jahrzehnten in ihrer neuen Heimat. Sie haben sich dem örtlichen Dialekt angepasst. Im täglichen Sprachgebrauch spielten die Begriffe/Ausdrücke der östlichen NL keine Rolle mehr.
Nachfolgend einige typische Ausdrücke und Redewendungen, die man in anderen deutschen Dialekten entweder überhaupt nicht findet oder deren ähnliche Aussprache dort eine andere Bedeutung hat:

Treescht = regnen, nieseln; aale Plautze = Deckbett, Zudecke; Kamurke = alte, kleine Bude oder Kammer; Wrucken = Kohlrüben; Buchte oder Forzmulle = Bett; klebersänftig = geizig; Scheese = alter Wagen, auch Kinderwagen; Rämpftel = Brotkanten, Scheibe Brot; Schweeßmauken = stinkende Füße oder Socken;  Grietschel =  Apfelgriebsch; aale Plürre = dünner Kaffe/Suppe; a Tippel = kleiner Topf/Tasse; Pusch = Wald; Apern = Kartoffeln; Karreete = Wagen/Gefährt; Pingel = Bündel, zusammengebundenes Tuch mit Habseligkeiten; Menkenke = jemanden etwas vormachen/ nicht so viele Worte machen/ sich dumm anstellen; Obacht = Achtung; gerlinge = schnell, stark;  urscht = vergeuden, verplämpern; krimmt =kratzt, kratzen;  verpucht = verhauen

Die Niederlaustizer Gesellschaft für Geschichte und Landeskunde beschäftigte sich 1929 mit den heimischen Lauten in und um Sorau. Nachfolgend einige Beispiele, die eindeutig sorbisch-wendischen Ursprunges sind und die, je nach Dorf, auch im 20. Jahrhundert mal mehr oder mal weniger Anwendung fanden.   

Backutschke = gedörrte Birnen; Bullatsch = Kugel/Ball/etwas Rundes; Kabache = alte Bude; Kallasche = Prügel; Kaleike = Dummheiten; Kapus = Hängeboden; Karbätsche = Klopfer; Kiesättig = wählerisch im Essen; Kikrille = alter, verschrobener Hut/ebensolches Weib/zerbrochener Regenschirm; Kledasche = Bekleidung (gesprochen wie Kledage); Klumpatsch = Reinfall/ aufgehäufter Plunder; Kriwatsche = krumm, ohne Form; Lulatsch = großer Mensch; Marakschen = sich abhetzen/abrackern;  Molum sein = betrunken sein; Pachulke = Tölpel/törichter Mensch/Rohling; Patschurke = Faulbaum; Rabazzen = herumtoben; Rabuschern = räubern/zusammenraffen; Runkunke = altes Weib; Scharteke = altes Frauenzimmer; Schistekapuste = mir ist alles gleich; Schubjak = schlechter Kerl; Tuster = alter, tunteliger Mensch; Wuchte = ein Glas Wein/Schnaps/Bier; Wrucken = Kohlrüben; Wurrachen = saubermachen/schuften

Eine Auffälligkeit in der Sprechweise der Niewerler Gegend war, dass einzelne Buchstaben durch andere in einem Wort ersetzt, vertauscht, beziehungsweise an- oder eingefügt wurden:

Koatze = Katze; burgen = borgen; riehren = rühren; Laben = Leben; schunt = schon, Tobock = Taback; murgen = morgen; hoan = haben; gruß = groß; hucken = hocken; vastahn = verstehen; drahn = drehen; Wuche = Woche; Reese = Reise; erfrein = erfreuen; Sproache = Sprache; besahn = besehen; baale = bald;  vum = vom, silche/sulche = solche; Lompe = Lampe; Lost = Last; rusten = rosten; Glick/Glicke = Glück; bluß = bloß; basser = besser; fittan = füttern; ma = mir; valleicht = vielleicht; ieba = über; Knullen/Kartuffeln = Kartoffeln; nischte  = nichts; vorrichte = vorige; Durf/Durfe = Dorf, Plumpe = Pumpe;

Erich Tzschentke meint sogar, dass es eine original-bäuerliche und eine rein städtische Mundart im Kreis Sorau gab (Quelle: Sorauer Heimatblatt 10/1957), wobei bei ersterer viele schlesische Begriffe einflossen, in die städtische Mundart eher Berliner Ausdrücke übernommen wurden. Dabei nennt er Beispiele:

Gib ha das Potschel (Gib her die Hand); Nu satt oock oa, wie a so gierig und gälinge ißt (Wenn jemand frischen Kuchen schnell ißt); Guckack amo, krumm wie so´n Fiedelbogen gieht a (Schau mal, krumm wie ein Fiedelbogen geht er); A iß tumm wie die Sinde (Er ist dumm wie die Sünde); Nee, is dos schiene (Nein, ist das schön); Du sullst ni su groamholsig sein (Du sollst nicht so feindselig sein); Nu machts mant halberwäge (Nun schneide nicht so auf); Mir liegst so uff dar Plautze (Ich habe Husten); Iß oack Quork, der kiehlt (Iß Quark, der kühlt); Helft oock mal schirgen (Helft mal arbeiten); Hunde kaffern drußen (Hunde kläffen draußen);                                                                                                                                                          Und ein Gespräch zwischen Eheleuten zur Kirmeszeit: Die Frau sagte zu ihrem Mann: "Wenn merr zum Kirmisball giehn, muß ich aber a neues Kleed hoan." Darauf der Ehemann: "Du host Kledasche genuk, woas sulln die Klunkern im Schranke, de frassen bluuß de Motten."  Die Ehefrau erwiderte: "Nu hier aba uff, in dann Klunkern bin ich lange genuch rummgelofe."

Zum ortsüblichen Dialekt in und um Kalke haben die Geschwister Schwärzel (Kalke), gemeinsam mit  Margarete Teuber und Brigitte Petzoldt (beide Triebel), viele im Alltag gebräuchliche Redewendungen, Substantive, Verben und Adjektive zusammengetragen. Ergänzt wurde diese Aufstellung durch Günter Robisch (Groß Särchen)

Über die Jahrhunderte haben sich slawische Sitten, Bräuche, auch Aberglaube, mit denen der deutschen vermischt. So wurde bis  1945 die bekannten Bräuche Zampern, die Fastnacht und Waleien hier rege gepflegt.

Gedichte in Mundart im Kapitel "Heimatgedichte"

Von einer anderen, vielleicht weniger bekannten ländlichen Sitte, berichtete die Sorauer Lehrerin Margarete Gebhardt  (Quelle: Sagen und Geschichten aus der Lausitz,  M. Gebhardt, 1923)

Sie schrieb, dass es nachfolgenden Brauch in vielen bäuerlichen Anwesen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab:

 …… wenn der Hauswirt stirbt, muss die Hausfrau oder der älteste Sohn oder der älteste Knecht dafür sorgen, dass allen lebenden Dingen in Hof und Gut und allen fruchttragenden Bäumen und Sträuchern der Tod des Hausherrn angesagt wird, ehe 24 Stunden  seit seinem Tode vergangen sind.  

Um diese Zeitspanne einzuhalten, geht derjenige, der mit der Meldung beauftragt wurde, zuerst zu den Pferden, klopft ihnen dreimal auf den Hals und spricht:

Liese, ich melde Dir, daß der Bauer heute um die und die Stunde gestorben ist. Sei auch fernerhin der Bäuerin und ihren Erben gehorsam und treu.

So werden nach und nach alle auf dem Hof lebenden Tiere, danach die Obstbäume dreimal geschüttelt mit der Bitte, gib auch weiter willig deine Frucht, informiert.

Der tiefere Sinn dieser Sitte ist vermutlich, dass die Bäuerin in ihrer großen Trauer nicht ihr Vieh vergessen und Sorge dafür tragen solle, dass alles im Sinne ihres verstorbenen Mannes weitergeführt wird.

Ein anderer Brauch, der wendischen Ursprungs sein soll, wurde bis Mitte des 19. Jahrhunderts in der Gegend um Sommerfeld praktiziert. Danach hüllten sich trauernde Frauen/Jungfrauen, die den Sarg des Verstorbenen begleiteten von Kopf bis Fuß in große weiße Tücher.

Die Geschichte eines Hochzeitsgeschenkes (Gedicht)

             

Hochzeit auf dem Dorfe (Quelle:Text von Erich Schneider, Niederlauitzer Studien, Heft 27)

Das fing so an: An een Sunntach hat der Paster bei seiner Prädigt verlasen: Es sind Personen vorhanden, die in den Stand der christlichen Ehe treten wulln. Es werden aufgeboten der Landwirt Emil Schulze und die Jungfrau Marie Müller.

Dasselbe mit noch in bißchen andern Sam hing denn och im  Schaukasten im Durfe aus.

Hingerher jings los! Hie und da stand n Heifchen, meestens Frauen. Nee,nee, Klatschweiber der ich nich suan, sunst der ich mer doate nich mehr blicken lassen. Die fackeln nich lange. Hat schunt moal eener een Eemer Wasser übersch Kreize jekricht. Die hudden moal  die Arbeet und vielleicht ooch das Mittagbrot verjessen. Eene soade: „Wißt derr schunt das Neiste? De und der Müllersch wern nu doch bei Oberschulzens hin“ Die schlaue Minna soite: „ Dos ho ich schon lange jeahnt“ , Die jehässige Rike meente: „ Die hädde oh keen andern jekricht. Zis ja so“. De geizige Liese wackelte met`n Daum` und Zeijefinger: „Dan jeht`s ums Jeld!“ Die dicke Auguste mergelte rim: „Dan Derrländer hädde ich nich jenummen.“